Kompletter und inkompletter Linksschenkelblock

Unter einem Linksschenkelblock wird eine Blockierung oder starke Verzögerung der Erregungsleitung im linken Tawara-Schenkel bzw. den Faszikeln verstanden. Welche Form der Störung vorliegt, kann mittels EKG nicht eindeutig unterschieden werden.

 

Die Anatomie des linken Tawara-Schenkels ist sehr variabel. In etwa 80% der Fälle verläuft er 5 – 10 mm als Bündel, um sich dann in einen langen und dünnen (und damit auch vulnerableren) zur Basis des anterioren Papillarmuskels ziehenden anterioren Faszikel und einen kürzeren und kräftigen, in Richtung der Basis des posterioren Papillarmuskels ziehenden posterioren Faszikel zu teilen. Der zum posterioren Papillarmuskel ziehende Faszikel stellt gewissermaßen die Verlängerung des linken Tawara-Schenkels dar. Er ist verantwortlich für die von links nach rechts gerichtete Aktivierung des interventrikulären Septums.  In etwa 20% der Fälle lässt sich kein eigenständiger linker Tawara-Schenkel abgrenzen, die Aufteilung in die Faszikel erfolgt direkt aus dem His-Bündel.

 

Beide Faszikel sind reich an Abzweigungen (und im peripheren Septum auch miteinander verbunden), so dass das linksseitige spezifische Leitungssystem, anders als das rechtsseitige, ein komplex verzweigtes Netzwerk bildet. Diese Vielfalt der Anatomie hat auch dazu geführt, vom Vorhandensein eines dritten, septalen (medianen) Faszikels auszugehen (und für dessen Blockierung EKG-Kriterien zu formulieren). Dieses Konzept hat sich aber nicht durchgesetzt. Es wird angenommen, dass diese septal verlaufenden Faszikelfasern Verzweigungen des posterioren Faszikels darstellen.

 

Die Blutversorgung des linken Tawara-Schenkels erfolgt überwiegend durch die septalen Äste des Ramus interventricularis anterior. An der Versorgung der Faszikel sind auch die rechte Herzkranzarterie (AV-Knoten Arterie) und der Ramus circumflexus beteiligt.

 

Die nachfolgende Abbildung  zeigt schematisch, welche Formen von Blockierungen zum Bild des kompletten Linksschenkelblocks führen können.

 

Kompletter Linksschenkelblock mit Blockierung des linken Tawara-Schenkels vor der Aufteilung in die beiden großen Faszikel (prädivisionaler Linksschenkelblock).

 

Kompletter Linksschenkelblock mit intaktem linken Hauptschenkel und Blockierung des anterioren und posterioren Faszikels (postdivisionaler Linksschenkelblock).


BLICKDIAGNOSE: Kompletter Linksschenkelblock

V6 ist die Ableitung, die die Blickdiagnose kompletter Linksschenkelblock erlaubt. Es zeigt sich eine als pathognomonisch zu bezeichnende breite und plumpe R-Zacke. QRS muss auf über 120 ms verlängert sein.


Kompletter Linksschenkelblock

Bei einem kompletten Linksschenkelblock wird das Septum nicht von links nach rechts, sondern von rechts nach links erregt. Der QRS-Hauptvektor weist daher zunächst nach rechts und vorn. Die verzögerte Erregung der muskelstarken linken Kammer spiegelt sich in dem breiten QRS-Komplexen wider. Die Vektoren, die in Zusammenhang mit der Erregung der restlichen Anteile des rechten Ventrikels entstehen, gehen in dieser Situation „unter“.

EKG

Folge der Leitungsstörung und gleichzeitig dominierender EKG-Befund ist eine Verbreiterung des QRS-Komplexes auf mindestens 120 ms. Bei Kindern im Alter von 4 bis 16 Jahren gilt als unterer Grenzwert 100 ms, bei kleineren Kindern (<4 Jahre) 90 ms. Sie kommt zustande, weil die Kammern nacheinander erregt werden. Ohne eine Überschreitung dieses Grenzwertes darf die Diagnose kompletter Schenkelblock nicht gestellt werden. 

 

Bei einem Linksschenkelblock erfolgt die Erregung des Septums von rechts nach links. Daher fehlen in Ableitung I und in den linkspräkordialen Ableitungen „septale“ Q-Zacken. Die frühe Erregung der rechtsseitigen Septumanteile und des rechten vorderen Papillarmuskels führt zu kleinen R-Zacken rechtspräkordial (V1-V3). Die dann erfolgende Erregung der inferioren und lateralen Anteile des linken Ventrikels führen zu einer Abweichung Vektors nach links hinten oben mit einem abrupten dominieren hoher, plumper R-Zacken in den linksseitigen Brustwandableitungen (ab V4). Entsprechend der starken Vektorabweichung resultieren rechtspräkordial tiefe S-Zacken.

 

Die Repolarisation verläuft nicht auf dem gleichen Weg zurück, sondern von hinten nach vorne. Deshalb ist der ST-Streckenverlauf in den linkspräkordialen Ableitungen negativ und rechtspräkordial positiv.  Dies führt dazu, dass die klassischen Kriterien der Ischämiediagnostik in den Brustwandableitungen bei Linksschenkelblock nicht angewendet werden dürfen.

Folgende Kriterien sprechen für einen kompletten Linksschenkelblock

  • eine Verbreiterung der QRS-Dauer, die 120 ms überschreitet,
  • breite und plumpe R-Zacken linkspräkordial (das Intervall vom Beginn von R bis zur größten Negativitätsbewegung in V6 beträgt mindestens 60 ms = Verspätung des oberen Umschlagpunktes in V6), 
  • Diskordanz von QRS und ST-Strecke und T-Welle sowie
  • fehlende Q-Zacken in I und V5/6

Vor kurzem wurden erweiterte Kriterien für einen Linksschenkelblock vorgeschlagen. Ziel ist, den strikten (tatsächlichen) kompletten Linksschenkelblock von Veränderungen des QRS-Komplexes aufgrund einer linksventrikulären Hypertrophie abzugrenzen.

 

Nach Strauss (Nikoo et al. 2013) ergeben sich folgende Kriterien für einen strikten kompletten Linksschenkelblock:

  • eine Verbreiterung der QRS-Dauer, die 140 ms bei Männern und 130 ms bei Frauen überschreitet,
  • ein QS- oder rS-Komplex in V1 und 
  • ein Kerbung (in mittleren Anteilen des QRS-Komplexes) oder ein verzögerter R-Anstieg (engl. slurring) in mindestens zwei der folgenden Ableitungen: I, aVL, V1, V2, V5 und V6. 

Die Kerbung von QRS basiert auf mehreren gleichzeitig vorhandenen Fronten der Erregung des linken Ventrikels, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten auslaufen, und so zu geringfügigen aber abrupten Änderungen der QRS-Hauptvektors führen. Es resultieren zwei R-Spitzen (engl. peaks), wobei die Amplitude der zweiten Spitze in nach anterior (I, II, aVF) und nach links gerichteten (V5, V6) Ableitungen meistens höher ist, als die der ersten Spitze.

Abb.: Kompletter Linksschenkelblock bei dilatativer Kardiomyopathie (66-jähriger Mann, EF 37 %). Als Hinweis auf einen tatsächlichen Linksschenkelblock (nach Strauss) finden sich QRS-Kerbungen in I und aVL. Extremitätenableitungen. 50 mm/s.

Abb.: Kompletter Linksschenkelblock bei dilatativer Kardiomyopathie. Patient wie oben. Als Hinweis auf einen tatsächlichen Linksschenkelblock (nach Strauss) finden sich QRS-Kerbungen in V5 und V6. Brustwandableitungen. 50 mm/s.

Abb.: 44-jähriger Frau mit einem kompletten Linksschenkelblock bei dilatativer Kardiomyopathie. Auch die Kriterien des strikten Linksschenkelblocks sind erfüllt (QRS-Breite >130 ms, QRS-Kerbungen in I, aVL, V1, V2, V5 und V6, verspäteter (80 ms) oberer Umschlagspunkt in V6). Der EKG-interne Befund verunsichert (und irrt), in dem er den Linksschenkelblock als „fraglich“ charakterisiert. Die aufgeführten Hypertrophie-Indizes sind in dieser Situation nicht anwendbar.

 

Abb.: Kompletter Linksschenkelblock bei einem 39-jährigen Patienten mit Z. n. operativer Myektomie bei hypertropher Kardiomyopathie. Als Zeichen des tatsächlichen Schenkelblocks findet sich eine QRS-Kerbung in den Ableitungen I und aVL. Bei verlangsamter Registriergeschwindigkeit (50 ms) waren QRS-Kerbungen auch in V5 und V6 sichtbar. Der Schenkelblock ist durch die Operation verursacht. Ein Linksschenkelblock nach Myektomie findet sich in 30 - 50% der Fälle.  25 mm/s.

Abb.: 70-jähriger Patient mit schwerer koronarer 3-Gefäß-Erkrankung und Zustand nach einem ausgedehnten Vorderwandinfarkt. Kompletter Linksschenkelblock. QRS-Kerbungen in I, aVL sowie V5 und V6. Die relativ hohen R-Zacken in V2 und V3 könnten Folge einer ausgedehnten septalen Narbe sein (die Depolarisation des rechten Ventrikels stellt sich deshalb deutlicher dar). Zusätzlich findet sich eine  Niedervoltage. 

Intermittierender und frequenzabhängiger Linksschenkelblock

Ein Linksschenkelblock kann lediglich intermittierend oder auch erst bei höheren Frequenzen (z. B. bei körperlicher Belastung) auftreten. Der frequenzabhängige Linksschenkelblock scheint auf eine unzureichende Anpassung der Aktionspotenzialdauer bzw. Refraktärzeit bei Frequenzsteigerungen zurückzuführen zu sein. Der Block ist in etwa 90% prädivisional lokalisiert (siehe oben). Zu den Mechanismen, die diskutiert werden, gehören primär zelluläre elektrophysiologische Abnormitäten, Fibrose und temporäre Ischämie. In vielen Fällen bildet sich bei Patienten mit zunächst intermittierendem oder frequenzabhängigem Linksschenkelblock im Langzeitverlauf komplette Linksschenkelblockierung aus.

 

Eine fasst eigenständige Entität sind Frauen im mittleren Lebensalter, die unter Belastung eine Linksschenkelblock entwickeln und dabei Angina pectoris verspüren, obwohl die epikardialen Koronararterien nachweislich unauffällig sind. Nach Normalisierung des QRS-Komplexes können hierbei (wie auch bei anderen Patienten mit einem intermittierenden Linksschenkelblock) zum Teil vorübergehende ST-Senkungen in den Brustwandableitungen beobachtet werden. Ein Effekt, der als Cardiac Memory bezeichnet wird.

Klinische Bedeutung

Bei Linksschenkelblock findet sich bei einem ansonsten normalen Herzen selten. Bei jungen Personen (Alter < 30 Jahre) beträgt seine Prävalenz 0,05% (Rotmann und Triebwasser 1973). Bei 75-Jährigen beträgt sie 2.3% und bei 80-Jährigen 5.7% (Eriksson et al. 1998). Die verfügbaren Untersuchungen sind bereits älter. Es darf angenommen werden, dass der komplette Linksschenkelblock, parallel zu einer immer höher werdenden Lebenserwartung und einer Zunahme der Prävalenz chronischer kardiovaskulärer Erkrankungen, an Häufigkeit weiter zugenommen hat. In über 90 % liegen fortgeschrittene chronische Herzerkrankungen vor, die dann auch die Prognose bestimmen. Bei gleichzeitigem Vorliegen einer strukturellen Herzerkrankung korreliert die Dauer des QRS-Komplexes bei Linksschenkelblock mit der Prognose. Ggf. zusätzlich vorhandenen Fragmentierungen des QRS-Komplexes sind ebenfalls prognostisch bedeutsam. Häufig liegt ein Linkstyp vor. Ein überdrehter Linkstyp deutet auf eine bedeutsame myokardiale Schädigung hin und wird als prognostisch ungünstig angesehen. Ein Normaltyp scheint mit einer günstigeren Prognose einher zu gehen.

 

Infarktdiagnostik bei komplettem Linksschenkelblock: Durch die veränderte myokardiale De- und Repolarisation wird die Infarktdiagnostik erschwert. Von Sgarbossa wurden Kriterien vorgeschlagen, die die Diagnosestellung erleichtern. Wenn es in Zusammenhang mit einem akuten Infarkt zu einem Linksschenkelblock kommt, dann handelt es sich in der Regel um einen ausgedehnten, meistens transmuralen anterioren oder antero-lateralen Infarkt. Ein neuer Linksschenkelblock bei akutem Myokardinfarkt ist bei weitem nicht so häufig, wie es oft angenommen wird. Wenn Vor-EKGs fehlen, ist die Frage nach einem neuen oder vorbestehenden Linksschenkelblock nicht zu beantworten. In Studie bei Patienten mit Linksschenkelblock und einem vermuteten akuten Infarkt wurde im weiteren Verlauf nur in etwa der Hälfte der Fälle die Diagnose akuter Myokardinfarkt dann auch gestellt. Bei nicht wenigen Patienten fand sich nur ein inkomplett verschlossenes Gefäß. Die aktuellen Leitlinien sehen davon ab, die Kombination von Linksschenkelblock und vermutetem Infarkt als Äquivalent für das Vorliegen eines akuten Infarktes (und damit einer Indikation zur in der Regel invasiven Reperfusionstherapie) gleichzusetzen. Das optimale Vorgehen in dieser Situation wird derzeit intensiv diskutiert. Die Sgarbossa-Kriterien sollten zur Diagnosefindung eingesetzt werden.

 

Ischämiediagnostik bei komplettem Linksschenkelblock:  Die Möglichkeiten der Ischämiediagnostik sind bei einem kompletten Linksschenkelblock eingeschränkt. Das Belastungs-EKG ist aufgrund der vorbestehenden Veränderung der Erregungsausbreitung und -rückbildung nicht verwertbar. Bei der Myokarszintigraphie zeigt sich bei Linksschenkelblock häufig ein Perfusionsdefizit im Bereich des Septums, das in den meistens Fällen nicht durch eine koronare Herzerkrankung bedingt ist (falsch positiver Befund). Grundlage dieses Befundes scheint ein Perfusionsungleichgewicht zu sein, das sich auch (reversibel) bei temporärer rechtsventrikulärer Stimulation findet (Koepfli et al. 2009). Auch bei der Stress-MRT lassen sich solche septalen Perfusionsveränderungen nachweisen.

 

Asynchrone Kontraktionen bei Linksschenkelblock - Resynchronisationstherapie:  Bei Patienten mit einer chronischen Herzinsuffizienz liegt in etwa 25% der Fälle ein kompletter Linksschenkelblock vor. Es resultiert eine asynchrone Erregung der Kammern. Die Resynchronisationstherapie, die bei Linksschenkelblock mit eingeschränkter linksventrikulärer Ejektionsfraktion (<35%) in den letzten Jahren zu einem Standardverfahren geworden ist, strebt an, diese zu beheben und damit die Hämodynamik zu verbessern. Bei Vorliegen eines strikten Linksschenkelblocks ist das Verfahren besonders wirksam. 

 

Neuer Linksschenkelblock nach TAVI: Bei bis zu 30% der Patienten, die sich einer TAVI (engl. transcatheter aortic valve implantation) unterziehen, kommt es zu einem Linksschenkelblock. Er ist mit einer erhöhten 1-Jahres-Sterblichkeit verbunden. Die resultierende Asynchronie der Kontraktion und ein erhöhtes Risiko für höhergradige AV-Blockierungen scheinen eine Rolle zu spielen.

 

Linkschenkelblockartige QRS-Konfiguration bei Kammertachykardien: Eine linksschenkelblockartige QRS-Konfiguration bei Kammertachykardien (oder ventrikulären Extrasystolen) spricht für einen rechtsventrikulären Ursprung.

Inkompletter Linksschenkelblock

Von inkompletten Schenkelblockierungen wird gesprochen, wenn die QRS-Verbreiterung geringer ausgeprägt ist (110 bis 119 ms)  und gleichzeitig die Umschlagspunkte in typischen Ableitungen verzögert auftreten. Ein inkompletter Linksschenkelblock wird oft übersehen, er ist aber auch (z. B. im Vergleich zum inkompletten Rechtsschenkelblock) eher selten. Ob es gerechtfertigt ist, von einer regelrechten Blockierung bzw. Leitungsverzögerung im spezifischen Leitungssystem zu sprechen ist zu sprechen ist unklar. Vermutlich liegt eine diffuse, zu einer Verbreiterung des QRS-Komplexes führende myokardiale Leitungsverzögerung vor. Der Begriff wurde ein den 1950er Jahren geprägt.

 

EKG

Folgende Kriterien sprechen für einen inkompletten Linksschenkelblock:

  • eine QRS-Breite im Bereich von 110 bis 119 ms (mit einem Intervall vom Beginn von R bis zur größten Negativitätsbewegung in V4 bis V6 von mindestens 60 ms = Verspätung des oberen Umschlagpunktes), 
  • und das Vorliegen eines Musters wie bei linksventrikulärer Hypertrophie mit fehlenden Q-Zacken in I und V5/6.

Klinische Bedeutung

Das elektrokardiographische Bild des inkomplette Linksschenkelblock ist meistens Ausdruck einer chronischen linksventrikulären Belastung (z. B. bei langjähriger arterieller Hypertonie oder Aortenstenose). Vor dem Hintergrund der weiter oben diskutierten Kriterien für den Linksschenkelblock sollte der Begriff eher vermieden werden.

Literatur