Atriale Abnormitäten

Die normale Wanddicke der Vorhöfe beträgt, regional unterschiedlich, etwa 1,5 bis 3 mm. Sie nimmt bei Erkrankungen mit Druckbelastung (Hypertonie, hypertrophe Kardiomyopathie) nur geringfügig zu. Im Vordergrund steht eine früh einsetzende Dilatation der Vorhöfe. In fortgeschrittenen Krankheitsstadium kann eine Verdünnung der Vorhofwand eintreten. Veränderungen der P-Welle können auch ohne jede Hypertrophie oder Dilatation auftreten. In diesen Fällen liegen meistens durch eine eine Fibrose bedingte intraatriale Leitungsstörungen vor, die in der letzten Zeit vermehrt als eigenständige Entität diskutiert wird, da sie einen eigenständigen Risikofaktor für atriale Tachyarrhythmien darstellt. 

Aufgrund der vielfältigen Ursachen von Zeichen der „Vorhofhypertrophie“ wird dieser Begriff heute vermieden. Die Veränderungen er P-Welle werden als P-Wellen-Abnormitäten zusammengefasst. Es erscheint sinnvoll, Begriffe wie P-pulmonale und P-mitrale nur zu verwenden, wenn die entsprechende Grunderkrankung bekannt ist. 

EKG

Die Diagnostik von P-Abnormitäten berücksichtigt die Morphologie, die Gesamtdauer sowie die Dauer der unterschiedlichen, die Erregung des rechten und linken Vorhofs wiederspiegelnden Anteile der P-Welle.

EKG atriale Abnormitäten

Abb.: Schematische Darstellung der "klassischen" Abnormitäten des Vorhofs. Ableitung II und V1 sind wiedergegeben. 

Rechtsatriale Abnormitäten

Zu den Kriterien, die für eine rechtsatrialen Abnormität sprechen, gehören:

  • eine Zunahme der P-Amplitude (>2,5 mm),
  • eine Abweichung des P-Vektors nach rechts und
  • eine +/- Diphasie in V1 und V2 mit einer Amplitude höher als 1,5 mm (P-Dauer aber meist unter 110 ms). 

In der älteren Literatur finden sich folgende Definitionen:

  • P-dextroatriale: biphasisches P in V1 bis V3 (+/-); Dauer <120 ms.
  • P-pulmonale: überhöhte und spitze P-Welle in II und III (>3 mm), Hauptvektor >60 Grad.
  • P-trikuspidale: P-gekerbt mit spitzem ersten Gipfel.
  • P-kongenitale: Kombination aus P-pulmonale und P-dextrokardiale; Hauptvektor nicht so weit nach rechts, manchmal auch hohes P in I.

Für die rechtsatriale Hypertrophie gibt es ebenfalls QRS-Kriterien Ein qR in V1 (beim Fehlen eines Myokardinfarktes) korreliert positiv mit der rechtsatrialen Vergrößerung. Auch eine niedrige Amplitude von R in V1 mit einer abrupten Größenzunahme von R  in V2 weist auf eine Vergrößerung des rechten Vorhofs hin.

Linksatriale Abnormitäten

Zu den Kriterien, die für eine linksatriale Abnormität sprechen, gehören:

  • eine Verbreiterung der P-Welle auf über 120 ms,
  • bei Doppelgipfligkeit (Gipfelabstand mehr als 40 ms),
  • eine Betonung des zweiten (negativen) Anteils der P-Welle in V1 (Dauer > 40 ms, Amplitude > 1 mm; Dauer x Amplitude > 40) und 
  • oft eine Linksabweichung der P-Achse

In der älteren Literatur finden sich folgende Definitionen:

  • P-mitrale: P-Welle doppelgipflig und verbreitert (> 120ms) mit betontem 2. Gipfel in I und II.
  • P-sinistroatriale: Betonung des zweiten (negativen) Anteils der P-Welle in V1 (Dauer > 40 ms, Amplitude > 1 mm; Dauer x Amplitude > 40). 

Biatriale Abnormitäten

Zu den Kriterien, die für eine biatriale Abnormität sprechen, gehören:

  • P erscheint linksbetont, d. h. verbreitert, in den Ableitungen I, aVL und V5/6 und
  • rechtsbetont, d. h. hoch und spitz,  in den Ableitungen II, III, aVF sowie
  • biphasisch in V1/2.

Intraatriale Leitungsstörung und intraatrialer Block im EKG

Von intraatrialen Leitungsstörungen wird gesprochen, wenn die Leitungszeit zwischen rechtem und linkem Vorhof abnorm verzögert oder blockiert ist.  In erster Linie scheint das Bachmann-Bündel betroffen zu sein. Bei der Diskussion über intraatriale Leitungsstörungen stehen die Leitungseigenschaften und nicht die Morphologie und Größe der Vorhöfe im Vordegrund.

 

Wesentliche Kriterien für die intraatriale Leitungsstörung sind

  • eine P-Wellendauer von mindestens 120 ms und
  • eine zweigipflige P-Welle in I, II, III und avF.

Von einem intraatrialen Block wird gesprochen, wenn

  • eine P-Wellendauer von mindestens 110 ms und gleichzeitig
  • biphasische (+/-) P-Wellen in I, II, III und avF nachweisbar sind.

Bei Letzterem wird von einer kaudo-kranialen Leitung im linken Vorhof ausgegangen (weil die Leitung über das den rechten mit dem linken Vorhof verbindende Bachmann-Bündel blockiert ist).

EKG atriale Leitungsstörung

Abb.: Ausgeprägte intraatriale Leitungsstörung mit Verbreiterung der P-Welle (normal bis 120 ms) und großem Abstand der Gipfel (normal bis 30 ms). 55-jähriger Patient mit koronarer 3-Gefäßerkrankung und eingeschränkter linksventrikulärer Funktion (EF 25%). Der linke Vorhof ist nur gering vergrößert (42 mm).

Diagnostische Wertigkeit von EKG-Kriterien der atrialen Abnormität

Der Nachweis einer atrialer Veränderungen gehört nicht zu den Stärken der Elektrokardiographie, die Sensitivität und Spezifität der meisten Kriterien ist  niedrig. Insbesondere kann nicht ausreichend eindeutig zwischen atrialer Vergrößerung und atrialer bzw. intraatrialer Leitungsverzögerung unterschieden werden. Eine bildgebende Diagnostik, die Vorhofanatomie und ggf. zugrundeliegende Herzerakrankung klärt, wird notwendig.  Eine verbreiterte P-Welle ist akzeptierter Risikofaktor für Vorhofflimmern und andere atriale Rhythmusstörungen.  

Literatur