Weitere Ableitungssysteme

Neben den Standard-Ableitungen gibt es weitere, die speziellen Zwecken bzw. Indikationen vorbehalten sind. Hierzu gehören

Linksposteriore Brustwandableitungen

Die Ableitungen V7, V8 und V9, die auch als posteriore bzw. dorsale Elektroden bezeichnet werden, stellen eine Erweiterung der Brustwandableitungen nach Wilson in der Horizontalebene dar. 

Tab.: Linksposteriore Brustwandableitungen. Elektrodenpositionen und Elektroden-nah gelegene Herzregionen.

Ableitung Elektrodenposition Herzregion
Ableitung V7
fünfter ICR, hintere Axillarlinie (positiv) / Wilson´sche Sammelelektrode (indifferent) posteriore Abschnitte des linken Ventrikels
Ableitung V8
fünfter ICR, Skapularlinie (positiv) / Wilson´sche Sammelelektrode (indifferent)rechter Arm (negativ) / linkes Bein (positiv) posteriore Abschnitte des linken Ventrikels
Ableitung V9
fünfter ICR, in der Paravertebrallinie (positiv) / Wilson´sche Sammelelektrode (indifferent) posteriore Abschnitte des linken Ventrikels

Abb.: Seitliche Ansicht des Herzens. Die linksposterioren Ableitungen (V7 - V9) sind in der Lage direkte EKG-Veränderungen im posterioren Bereich des links Ventrikels (z. B. die ST-Hebung bei einem streng posterioren Myokardinfarkt) zu erfassen. 


Klinischer Stellenwert

Von Bedeutung sind die Ableitungen bei der

  • Diagnostik streng posteriorer Myokardinfarkte und bei
  • speziellen Aspekten der vektoriellen EKG-Deutung (Erregung sich nach links hinten).

Hohe Brustwandableitungen

Die hohen Brustwandableitungen werden einen oder zwei Interkostalräume höher als die Standardableitungen registriert und durch ein C gekennzeichnet. V2 C2-3 entspricht V2 im 3. Interkostalraum. In der Regel wird diese Art der Registrierung nur bei rechtspräkordialer Ableitung eingesetzt (V1 bis V2/3). Die R-Amplituden sind bei dieser Art der Ableitung reduziert. Findet sich in V2 eine biphasische P-Welle (wie man sie physiologischerweise  in V1 sieht), spricht dies für eine Ableitung aus dem 2. Interkostalraum. Es ergibt sich oft ein EKG-Bild, dass einem Brugada-EKG vom Typ 2 ähnelt (sattelförmige ST-Streckenhebung).  

Klinischer Stellenwert

Die Registrierung dieser Ableitungen erfolgt bei Verdacht auf eine Brugada-Syndrom. Hierbei muss berücksichtigt werden, dass nur ein Brugada EKG vom Typ 1 diagnostich verwertbar ist. 

EG 2 ICR P

Abb.: Die Ableitungen V1 und V2 wurden im 2. Interkostalraum abgeleitet. Die P-Welle ist biphasisch (schmaler Pfeil), es zeigt sich eine sattelförmige ST-Hebung (dicker Pfeil), die einem Brugada-Typ II ähnelt. Die T-Welle ist biphasisch. 

Rechtspräkordiale Ableitungen

Die rechtspräkordialen Ableitungen spielen bei der Diagnostik von rechtsventrikulären Myokardinfarkten eine Rolle. Sie werden mit einem r versehen und auf der rechten Sternumseite registriert (z. B. V3r, V4r, V5r, V6r) (Tab.). Praktisch werden die Elektroden V3 bis V6 einfach auf die rechte Thoraxseite umpositioniert und es wird ein erneutes EKG geschrieben. Hierbei ist auf eine sorgfältige Beschriftung des EKGs zu achten.

Tab.: Rechtsventrikuläre Brustwandableitungen. Elektrodenpositionen und Elektroden-nah gelegene Herzregionen.

Ableitung Elektrodenposition Herzregion
Ableitung V3r
zwischen V1 und V4r (positiv) / Wilson´ sche Sammelelektrode (indifferent) rechter Ventrikel
Ableitung V4r
fünfter ICR, Medioklavikularlinie (positiv) / Wilson´sche Sammelelektrode (indifferent) rechter Ventrikel
Ableitung V5r
auf der Höhe von V4r, vordere Axillarlinie (positiv) / Wilson´sche Sammelelektrode (indifferent) rechter Ventrikel
Ableitung V6r
auf der Höhe von V4r, mittlere Axillarlinie (positiv) / Wilson´sche Sammelelektrode (indifferent) rechter Ventrikel

Klinischer Stellenwert

Eine Indikation zur Registrierung rechtsventrikulärer Ableitungen ergibt sich bei Verdacht auf eine rechtsventrikuläre Beteiligung bei einem akuten Myokardinfarkt.

Ableitungen nach Nehb

Die Nehb-Ableitungen werden fast nur in Deutschland verwendet und dies nur noch äußerst selten. Sie wurden 1938 von Nehb als "herznahe" Ableitungen eingeführt, zu einer Zeit, als die unipolaren Brustwandableitungen noch nicht im Gebrauch waren. Nehb D ist vergleichbar mit V6/7. Die Registrierung erfolgt über die Einthoven-Ableitungen (D = Einthoven I, I = Einthoven II, A = Einthoven III). Entsprechend dem Einthoven-Dreieck bezeichnet man die Nehb-Ableitung auch als "kleines Herzdreieck". Die Registrierung erfolgt über die Einthoven-Elektroden.

Tab.: Platzierung der Nehb´schen Ableitungen. Elektrodenpositionen und Elektroden-nah gelegene Herzregionen.

Ableitung Elektrodenposition Herzregion
Ableitung D Sternalansatz der 2. Rippe, rechts / 5. ICR, hintere linke Axillarlinie dorsale Anteile des linken Ventrikels
Ableitung I
Sternalansatz der 2. Rippe, rechts / 5. ICR, linke Medioklavikularlinie inferiore (diaphragmale) Herzanteile
Ableitung A
5. ICR, hintere linke Axillarlinie / linke Medioklavikularlinie Vorderwand des linken Ventrikels
EKG Nehb Ableitungen

Abb.: Schematische Darstellung der Platzierung der Nehb´schen Ableitungen.

Klinischer Stellenwert

Die Nehb-Ableitungen werden eigenen sich zur Darstellung von pathologischen Prozessen (Ischämie, Infarkt) im Bereich der Hinterwand. Eindeutige Daten, die eine Überlegenheit gegenüber anderen Ableitungen zeigen fehlen. Seit der Einführung der unipolaren Brustwandableitungen sind die Nehb-Ableitungen nicht mehr wirklich im Gebrauch. 

Literatur