Die Messpunkte bzw. Ableitorte bei der EKG-Registrierung gänzlich frei zu stellen, würde bedeuten, eine unüberschaubare Vielfalt an unterschiedlichen EKGs zu
generieren, die nicht direkt miteinander vergleichbar wären. Daher gibt es standardisierte Ableitpunkte, die sog. standardisierten EKG-Ableitungen. Hierzu gehören
Sie bilden die Grundlage des Standard 12-Kanal-EKGs, wie wir es heute in der täglichen Routine registrieren und diagnostisch nutzen. Die Festlegung der Standardableitungen erfolgte 1954 im Rahmen einer von der American Heart Association abgehaltenen Konferenz und ist bis heute gültig. Die heute etablierten 12 Ableitungen wurden aus mehr als 40 damals vorgeschlagenen Ableitungen ausgewählt. In besonderen Situationen können auch weitere Ableitungen sinnvoll sein.
Bipolare oder unipolare Ableitungen?
Die Einthoven-Ableitungen sind klassische bipolare Ableitungen von den Extremitätenenden. Bipolar bedeutet, dass eine Potenzialdifferenz zwischen zwei gleichberechtigten Elektroden gemessen wird. Bei den Goldberger-Ableitungen wird oft von unipolaren Ableitungen gesprochen, weil eine explorierende Extremitäten-Elektrode gegenüber den anderen, über elektrische Widerstände zusammengeschlossenen Extremitäten-Elektroden, die ein gemeinsames Referenz- oder Nullpotenzial bilden sollen, ableitet. Die zusammengeschlossenen Extremitäten-Elektroden werden auch als indifferente Elektrode bezeichnet. In Wirklichkeit entsteht hierdurch aber an der Referenzelektrode kein regelrechtes Nullpotenzial, so dass auch von pseudo-unipolaren Ableitungen gesprochen wird. Die Brustwandableitungen nach Wilson werden ebenfalls oft als unipolare Ableitungen bezeichnet. Hierbei wird zwischen den auf der Brustwand platzierten Ableitungen und den elektrisch zusammengeschlossenen Extremitätenableitungen gemessen. Wie bei den Goldberger-Ableitungen ergibt sich aber auch hier kein regelrechtes Nullpotenzial der indifferenten Elektrode, so dass eigentlich eine bipolare Konstellation vorliegt.
Blickwinkel der einzelnen Ableitungen
EKG-Ableitungen erfassen die zu einem bestimmten Zeitpunkt auf der Körperoberfläche resultierenden Potenzialdifferenzen und spiegeln somit die Erregung des gesamten Herzens wider. Aus der räumlichen Positionierung der Elektroden in Relation zur Stromquelle Herz ergibt sich, dass die unterschiedlichen Ableitungen die elektrische Aktivität des Herzens aus verschiedenen "Blickwinkel" betrachten. Myokardareale, die der positiven Elektrode nahe liegen, werden "bevorzugt" abgebildet. Dies spielt für die Lokalisation pathologischer Prozesse (z. B. der Lokalisation einer Infarktregion) eine wichtige Rolle.